51. Dadurch haben sich die zwei Stufen der Wahrnehmung der verhüllten Lenkung geklärt, die von den Geschöpfen verspürt wird: die einfache Verhüllung und eine Verhüllung innerhalb der Verhüllung.
Die einfache Verhüllung meint lediglich die Verhüllung des Angesichts, wenn die Umkehrseite den Menschen offenbart ist. Mit anderen Worten glauben sie, dass der Schöpfer ihnen als Strafe die Leiden auferlegte. Und es fällt ihnen zwar schwer, den Schöpfer ständig von der Umkehrseite zu erkennen, und sie begehen deswegen Verstöße – sie werden dann als „unvollendete Sünder“ bezeichnet. Das heißt, diese Verbrechen gleichen Verstößen aus Unachtsamkeit, weil sie durch große Leiden geschahen, und im Ganzen glauben die Menschen an Belohnung und Strafe.
52. Die Verhüllung innerhalb der Verhüllung bedeutet, dass sich vor ihnen sogar die Umkehrseite des Schöpfers verbarg, weil sie nicht an Belohnung und Strafe glauben. Und die Verbrechen, die sie begehen, werden als böswillige definiert. Jene werden als „Vollendete Sünder“ bezeichnet, weil sie rebellieren, indem sie behaupten, dass der Schöpfer gar nicht seine Geschöpfe lenkt. Und sie widmen sich dem Götzendienst, wie es heißt: „Weil sie sich an andere Götter wandten“.
53. Man muss wissen, dass die ganze Arbeit, die in der Erfüllung der Torah und der Gebote mittels der Wahl durchgeführt wird, hauptsächlich in den zwei oben genannten Stadien der verhüllten Lenkung durchgeführt wird. Und über diesen Zeitraum heißt es: „Gemäß dem Leiden – die Bezahlung” (Traktat Avot, 5:23). Denn die Lenkung des Schöpfers ist nicht klar, und es ist nicht möglich, Ihn anders als in der Verhüllung des Angesichts zu sehen, das heißt nur von Seiner Umkehrseite, nach dem Beispiel des Menschen, der seinen Freund von hinten sieht und deswegen in Zweifel gerät, indem er sich denkt: „Möglicherweise ist das doch jemand anders?“ Dabei liegt die Wahl immer in den Händen des Menschen: den Wunsch des Schöpfers auszuführen oder gegen Seinen Wunsch zu verstoßen.
Denn die Leiden und der Schmerz des Menschen lassen ihn an der Realität der Lenkung des Schöpfers zweifeln, sei es im ersten Stadium – das sind Verstöße aus Unachtsamkeit, oder im zweiten – das sind böswillige Verbrechen. So oder so verharrt der Mensch in großem Leid und unternimmt riesige Anstrengungen. Über diesen Zeitraum steht geschrieben: „Alles, was dir in die Hände kommt, es zu tun mit deiner Kraft, das tu“ (Prediger, 9:10), weil ein Mensch nicht der Offenbarung des Angesichts würdig wird, welche das vollkommene Maß der Güte des Schöpfers bedeutet, bevor er sich nicht bemüht und alles tut, was nur in seinen Kräften liegt. Und gemäß dem Leiden zahlst du.
54. Nachdem der Mensch das Maß seiner Anstrengungen abgeschlossen und alles vollendet hat, was er kraft seiner Wahl und Stärke des Glaubens an den Schöpfer zu vollbringen hatte, dann hilft ihm der Schöpfer, und der Mensch wird die klare Lenkung erkennen und der Offenbarung des Angesichts würdig. Ebenso der vollkommenen Reue, die bedeutet, dass er zurückkehrt und mit ganzem Herzen und ganzer Seele mit dem Schöpfer verschmilzt, wie es auf natürliche Weise aus der Erkenntnis der klaren Lenkung resultiert.
55. Die oben erwähnte Erkenntnis und Reue des Menschen verläuft in zwei Etappen. Die erste ist die Erkenntnis der Lenkung durch Belohnung und Strafe. Außer, dass der Mensch die Belohnung für jedes Gebot in der zukünftigen Welt klar erkennt, wird er durch die Ausführung des Gebots sofort den wunderbaren Genuss auch in dieser Welt erkennen. Und außer, dass er die bittere Bestrafung erkennt, die aus jedem Verstoß nach seinem Tod resultiert, wird er auch würdig, den bitteren Geschmack jedes Verstoßes noch im Leben zu verspüren. Ein Mensch, der diese Lenkung (nicht) klar erkennt, ist überzeugt, dass er nicht mehr sündigen wird, genauso wie sich ein Mensch nicht seine Glieder abschlagen und sich schrecklichen Leiden zufügen wird. Auch wird er kein Gebot vernachlässigen und es sofort ausführen, genauso wie er keinen einzigen Genuss oder großen Gewinn in der Welt ablehnen wird, den er in Aussicht hat.
56. Hier sollst du die Worte der Weisen verstehen: „Was bedeutet „Reue“? – Bis der die Geheimnisse Kennende vom Menschen bezeugt, dass er nicht mehr zu seiner Torheit zurückkehren wird“. Auf den ersten Blick sind diese Worte merkwürdig. Denn wenn dem so ist, wer wird dann in den Himmel aufsteigen, um das Zeugnis des Schöpfers zu hören? Ist es etwa unzureichend, dass der Schöpfer selbst weiß, dass der Mensch mit seinem ganzen Herzen zurückkehrte und nicht mehr sündigen wird?
Aus dem, was ich erklärte, ist das aber vollkommen einfach zu verstehen. Denn der Mensch kann sich wirklich nicht absolut sicher sein, dass er nicht mehr sündigen wird, bevor er nicht der Erkenntnis der Lenkung durch Belohnung und Strafe gewürdigt wird, das heißt der Offenbarung des Angesichts. Die Offenbarung des Angesichts ist jedoch das, was hinsichtlich der Erlösung des Schöpfers als „Zeugnis“ bezeichnet wird; denn gerade die vom Schöpfer selbst vollbrachte Erlösung, die den Menschen zur Erkenntnis von Belohnung und Bestrafung führt, verspricht ihm, dass er nicht wieder sündigen würde.
Auf diese Weise wird klar, dass der Schöpfer für den Menschen zeugt. Und davon steht geschrieben: „Was bedeutet: „Reue“?“ Wann wird der Mensch also sicher sein, dass er der vollkommenen Rückkehr würdig wurde? Dazu gab man ihm ein klares Zeichen: wenn von ihm Derjenige, der die Geheimnisse kennt, bezeugt, dass er nicht mehr zu seiner Torheit zurückkehren würde. Er wird der Offenbarung des Angesichts würdig, wenn der Schöpfer selbst ihn erlöst und dadurch bezeugt, dass er nicht mehr zu seiner Torheit zurückkehren würde.
57. Diese bereits genannte Rückkehr heißt „Reue aus Furcht“. Man kehrt zurück zum Schöpfer mit seinem Herz und seiner Seele, bis Er, der alle Geheimnisse kennt, bezeugt, dass der Mensch nicht wieder in Thorheit zurückfällt. Diese Sicherheit jedoch, dass man nicht wieder sündigen wird, kommt aus der Erkenntnis und der Empfindung schrecklicher Bestrafung und schlimmer Qualen, die vom Sündigen herrühren. Aus diesen Gründen ist man sicher, dass man sich fortan keine schrecklichen Seelenqualen mehr antut.
Schließlich kommen diese Reue und Sicherheit jedoch nur durch die Angst vor Bestrafung, die der Übertretung folgt. Es folgt, dass man die Reue nur aufgrund der Angst vor Bestrafung empfindet. Daher heißt es „Reue (Rückkehr) aus Furcht“.
58. Nun können wir die Worte unserer Weisen verstehen, dass „Einer, der aus Furcht bereut, dessen Sünden werden zu Fehlern.“ Wir müssen begreifen wie das geschehen kann. Wie oben ausgeführt (Punkt 52), haben wir gründlich verstanden, dass die Sünden, die ein Mensch tut, daher rühren, dass er sich im Herrschaftszustand der doppelten Verhüllung – also Verhüllung in der Verhüllung – befindet. Das heißt, dass man nicht an die Herrschaft durch Belohnung und Strafe glaubt.
Einfache Verhüllung bedeutet, dass man an die Herrschaft durch Belohnung und Strafe glaubt, aber trotzdem aufgrund der Anhäufung an Leiden manchmal in sündhafte Gedanken verfällt. Obwohl man glaubt, dass der Kummer als Strafe kommt, verhält man sich weiterhin wie eine Person, die ihren Freund von hinten sieht und zweifelt, ob diese nicht vielleicht jemand anderer ist. Diese Sünden sind Fehler, da man doch insgesamt an die Herrschaft durch Belohnung und Strafe glaubt.
59. Wenn man daher mit Reue aus Furcht begnadet ist, das heißt, einer klaren Erkenntnis von Belohnung und Strafe, bis man sicher weiß, dass man fortan nicht mehr sündigen wird, ist die Verhüllung innerhalb der Verhüllung vollständig in einem korrigiert. Das ist so, da man nun überzeugt ist, dass es die Herrschaft durch Belohnung und Strafe wirklich gibt. Es ist für einen nun klar, dass alle Leiden, die man jemals erlebt hat, Bestrafungen durch Seine Herrschaft aufgrund der begangenen Sünden waren. Rückblickend hat man schwere Fehler gemacht.
Obwohl es nicht ganz so ist, dass sie zu Sünden werden. Man hat die Übertretungen in der einfachen Verhüllung getan. Das geschah auf Grund der eigenen Verwirrung und man fehlte auf Grund der Vielzahl von Qualen, die einem den Verstand rauben. Diese Übertretungen werden nur als Fehler betrachtet.
60. In seiner Reue hat der Mensch allerdings noch nicht die erste Verhüllung des Angesichts, durch die er vorher regiert wurde, korrigiert, sondern erst nachdem er die Offenbarung des Angesichts erlangt hat. In der Vergangenheit jedoch, bevor er mit Reue belohnt worden war, blieben die Verhüllung und die Fehler ohne jede Änderung oder irgendeine Korrektur. Weil der Mensch auch glaubt, dass die Schwierigkeiten und Leiden aus Strafe geschahen, wie geschrieben steht „Kommt dieses Übel nicht daher auf uns, da unser Gott nicht unter uns ist?“