121. Daher sagt Rav, dass wenn das Individuum nach der Reue aus Furcht eine Mizwa ausgeführt hat, weil es ihm nur an einer Mizwa mangelt – „ist das Glück sein, weil er sich selbst und die ganze Welt dem Freispruch zuneigte“. Nicht nur wird ihm mittels der von ihm ausgeführten Reue aus Liebe die Ehre zuteil, sich selbst dem Freispruch zuzuneigen, sondern er wird auch dessen gewürdigt, die ganze Welt dem Freispruch zuzuneigen.
Es wird ihm gegönnt, in der wunderbaren Erkenntnis der heiligen Torah emporzusteigen, bis sich ihm offenbart, wie am Ende die gesamte Menschheit der Reue aus Liebe gewürdigt wird. Dann wird sich auch für sie jene herrliche Lenkung offenbaren und zu sehen sein und sie alle werden sich dem Freispruch zuneigen. Die Sünden werden von der Erde verschwinden und Sünder wird es nicht mehr geben.
Die Menschheit selbst wurde bisweilen noch nicht einmal der Reue aus Furcht würdig. In jedem Fall aber, wenn ein Individuum die Neigung zur Seite des Freispruchs erlangt, die allen in Zukunft in klarer und absoluter Erkenntnis bevorsteht, dann gleicht das dem Stadium: „Deine Welt wirst du in deinem Leben sehen“, wie es im Bezug auf einen Menschen heißt, der Reue aus Furcht erfährt. Wie wir bereits sagten, dass es für denjenigen, der sich darüber freut und genießt, so ist, als würde er unmittelbar die Erkenntnis erlangen. Denn „Alles was eingesammelt werden soll, gleicht dem bereits eingesammelten“.
So auch hier. Sobald das Individuum die Rückkehr der ganzen Welt erkennt, dann gilt es im Bezug auf es, dass den Menschen tatsächlich bereits die Rückkehr aus Liebe gegönnt wurde. So als ob jeder von ihnen seine Verstöße dem Freispruch zuneigt, dass es ihm vollkommen ausreicht, die Beziehung des Schöpfers zu jedem Menschen der Welt zu kennen. Und das ist es, was Rabbi Elazar sagt, der Sohn von Rabbi Shimon: der Mensch ist glücklich, weil er sich selbst und die ganze Welt dem Freispruch zuneigte. Von diesem Moment an gilt, dass er alle Wege der Lenkung des Schöpfers kennt, im Bezug auf jedes Geschöpf in der Offenbarung des wahren Angesichts, nämlich dass der Schöpfer gut ist und Guten Gutes und Schlechten Gutes tut. Weil der Mensch das weiß, bedeutet es, dass er des vierten Stadiums der Liebe – der ewigen Liebe – würdig wurde.
So warnt auch Rabbi Elazar, der Sohn von Rabbi Shimon, den Menschen, dass sogar nachdem es ihm gegönnt wurde, die ganze Welt dem Freispruch zuzuneigen, er sich in jedem Fall bis zum Tag seines Todes nicht trauen dürfe. Sollte er mit einem Verstoß Mißerfolg erleben, würden sogleich seine ganze Erkenntnis und das herrliche Heil verloren gehen, wie es in einem Vers heißt: „Ein Sünder wird viel Gutes vernichten“.
Das erklärt, wodurch sich die Worte von Rabbi Elazar, des Sohns von Rabbi Shimon, von den Aussprüchen unterscheiden, die lediglich von dem zweiten und dem dritten Stadien der Liebe handeln und daher nicht die Neigung der ganzen Welt zum Freispruch erwähnen. Im Unterschied dazu spricht Rabbi Elazar, der Sohn von Rabbi Shimon, lediglich vom vierten Stadium der Liebe, welches man sich nur vorstellen kann, nachdem man die Neigung der ganzen Welt zu der Seite des Freispruchs hin erkannte. Wir müssen aber noch verstehen, wodurch man dieser wunderbaren Erkenntnis würdig wird, welche die ganze Welt dem Freispruch zuneigt.
122. Wir müssen verstehen, was gesagt wurde (Taanit, 11, S.1): „Zu einer Zeit, wenn die Gesellschaft in Trauer ist, soll der Einzelne nicht sagen: „Ich werde nach Hause gehen und werde essen und trinken, und Frieden soll mit dir sein, meine Seele“. Und wenn er dies tut, dann heißt es über ihn (Jesaja 22:13): „Aber siehe da, lauter Freude und Wonne, Rinder töten, Schafe schlachten, Fleisch essen, Wein trinken: „Lasset uns essen und trinken; wir sterben doch morgen!“, „Und es enthüllte der Herr der Heerscharen meinem Ohr: diese Sünde soll euch bis zu eurem Tode nicht vergeben werden“.
Soweit zu dem Maß der Mittleren. Von dem Maß der Sünder heißt es aber: “Kommt, ich werde Wein nehmen und wir werden uns mit Hopfen betrinken und der morgige Tag soll genau so sein wie dieser“. Wie heißt es darüber: „Der Gerechte ist gekommen, und niemand ist da, der es zu Herzen nimmt, und fromme Leute sind hingerafft, und niemand achtet darauf“ (Jesaja 57:1). Wenn aber der Mensch mit der Gesellschaft leiden wird, wird es ihm gegönnt werden, den Trost der Gesellschaft zu sehen“.
123. Auf den ersten Blick sind diese Worte vollkommen irrelevant. Denn er will durch das Gesagte beweisen, dass der Mensch mit der Gesellschaft leiden soll. Wenn dem aber so ist, warum müssen wir einen Unterschied und eine Grenze zwischen dem Maß der Mittleren und dem Maß der Sünder ziehen? Und was ist das für eine Präzision: „Maß der Mittleren“ und „Maß der Sünder“? Warum sagt er nicht einfach „Mittlere“ und „Sünder“? Wozu die Maße? Woraus folgt weiters, dass es sich um eine Sünde handelt, wenn der Mensch nicht mit der Gesellschaft leidet? Außerdem sehen wir hier keinerlei Bestrafung hinsichtlich des Maßes der Sünder, sondern es heißt: „Fromme Leute sind hingerafft, und niemand achtet darauf“. Und wenn die Sünder sündigten, wofür wird der Gerechte bestraft? Und warum kümmert es die Sünder, wenn ein Gerechter stirbt?
124. Wisse, dass alle diese Maße der Mittleren, Sünder und Gerechten nicht in besonderen Menschen vorhanden sind, sondern in jedem Menschen der Welt. In jedem Menschen sollte man die drei oben beschriebenen Maße unterscheiden. Denn während der Phase der Verhüllung des Angesichts für das Individuum, bevor es wenigstens der Reue aus Furcht würdig wurde, gilt es noch zum Maß der Sünder gehörend.
Wenn ihm die Reue aus Furcht gegönnt wird, gilt der Mensch zum Maß der Mittleren gehörend. Wenn ihm danach auch die Ehre der Reue aus Liebe in ihrem vierten Stadium zuteil wird, das heißt die ewige Liebe, gilt er als vollendeter Gerechter. Daher heißt es nicht einfach „Mittlere“ und „Gerechte“, sondern „das Maß der Mittleren“ und „das Maße der Gerechten“
125. Wir sollten auch darauf bedacht sein, dass es unmöglich ist, des vierten Stadiums der Liebe würdig zu werden, wenn der Mensch nicht zuvor der Erkenntnis des Stadiums der Offenbarung des Angesichtes würdig wurde, die der ganzen Welt bevorsteht. Dadurch ist es ihm möglich, auch die ganze Welt dem Freispruch zuzuneigen, wie Rabbi Elazar, der Sohn von Rabbi Shimon, sagte. Und es klärte sich bereits, dass die Offenbarung des Angesichts unbedingt alle Leiden und Qualen der Phase der Verhüllung in herrliche Genüsse verwandelt, sodass der Mensch die geringe Anzahl an Leiden bereut, die er erduldet hat.
Deswegen sollten wir fragen: ein Mensch, der sich selbst dem Freispruch zuneigt, erinnert sich doch sicherlich an alle Leiden und Qualen, die er in der Phase der Verhüllung des Angesichts erduldete? Daher ist es überhaupt möglich, dass die Leiden sich für ihn in herrliche Genüsse verwandeln. Wenn er aber die ganze Welt dem Freispruch zuneigt, woher kennt er das Maß der von allen Geschöpfen in der Welt erduldeten Leiden und Qualen. Wie kann er verstehen, wie sie sich in der gleichen Weise dem Freispruch zuneigen, wie ein Mensch, der sich selbst zuneigt?
Damit es der Waagschale der ganzen Welt nicht an Gewicht mangelt, hat der Einzelne, der beabsichtigt, die ganze Menschheit dem Freispruch zuzuneigen, gar keine andere Wahl, als mit der Gesellschaft auf gleiche Weise mitzuleiden wie er selbst leidet.
Denn dann wird die Waagschale der Schuld der ganzen Welt immer für den Menschen bereit stehen, wie auch seine eigene Waagschale der Schuld. Wenn er daher würdig wird, sich selbst dem Freispruch zuzuneigen, wird er auch die ganze Welt dem Freispruch zuneigen können und mit dem Stadium des vollkommenen Gerechten belohnt werden.
126. Wenn also der Mensch mit der Gesellschaft leidet, sogar nachdem er der Reue aus Furcht, das heißt des Maßes eines Mittleren, würdig wurde, heißt es über ihn: „Siehe da, Freude und Wonne“. Das bedeutet, dass einer, dem der Segen vergönnt wurde: „Deine Welt wirst du in deinem Leben sehen“ und der die ganze Belohnung für eine Mizwa sieht, die ihm in der zukünftigen Welt bereitet ist, natürlich „voller Freude und Wonne“ ist und sich sagt: „Aber siehe da, lauter Freude und Wonne, Rinder töten, Schafe schlachten, Fleisch essen, Wein trinken: Lasset uns essen und trinken; wir sterben doch morgen!“. Das heißt er ist voller großer Freude wegen der Belohnung, die ihm in der zukünftigen Welt versprochen wurde. Und davon spricht er mit großer Freude: „wir sterben doch morgen“, und ich werde von Dem, Der entlohnt, Leben in der zukünftigen Welt nach meinem Tode einsammeln.
Darüber steht aber Folgendes geschrieben: „Und es enthüllte der Herr der Heerscharen meinem Ohr: diese Sünde soll euch bis zu eurem Tode nicht vergeben werden“. Anders gesprochen bezeugt dieser Text die Unachtsamkeitsverstöße des Menschen. Wir klärten, dass für denjenigen, der eine Umkehr aus Furcht vollzog, sich seine böswillig begangenen Sünden in Unachtsamkeitsverstöße verwandeln. In diesem Fall, da der Mensch nicht mit der Gesellschaft litt und nicht der Reue aus Liebe gewürdigt werden kann, bei welcher sich die böswillig begangenen Sünden in Verdienste verwandeln, folgt daraus unweigerlich, dass es für seine Unachtsamkeitsfehler keinerlei Sühne in seinem Leben geben wird. Wie kann sich der Mensch dann über sein Leben in der zukünftigen Welt freuen? Davon heißt es eben: “Diese Sünde soll euch nicht vergeben werden“ – das heißt Unachtsamkeitsverstöße – „bis zu eurem Tode“. Mit anderen Worten hat der Mensch vor seinem Tode keine Möglichkeit zur Vergebung.
127. Und auch heißt es, das sei das “Maß der Mittleren“. Die Rede ist vom Zeitraum ab der Reue aus Furcht. In dieser Zeit wird der Mensch als ein „Mittlerer“ bezeichnet. „Was steht da aber über das Maß der Sünder“? Anders gesprochen, was bleibt von der Zeit, wenn der Mensch in der Verhüllung des Angesichts verharrte und zum „Maß der Sünder“ gehörte? Und es klärte sich auf, dass die Reue aus Furcht das, was mit ihm zuvor war, nicht korrigiert.
Daher werden diesbezüglich andere Worte angeführt: “Kommt, ich werde Wein nehmen und wir werden uns mit Hopfen betrinken, und der morgige Tag soll genau so sein wie dieser“. Das bedeutet, dass die gleichen Tage und Jahre, die der Mensch in der Verhüllung des Angesichts erlebte, und die er noch nicht korrigiert hatte, was als das „Maß der Sünder“ bezeichnet wird, dass diese nicht wollen, dass er stirbt. Denn weil sie das Maß der Sünder sind, haben sie nach dem Tod keinen Anteil an der zukünftigen Welt.
Zur Stunde also, wenn das Maß der Mittleren im Menschen jubelt und frohlockt, „wir sterben doch morgen“ und werden des Lebens in der zukünftigen Welt gewürdigt, sagt das Maß der Sünder im Menschen etwas anderes: „und der morgige Tag soll genau so sein wie dieser“. Das heißt es will sich freuen und in dieser Welt ewig verharren, weil es keinerlei Anteil in der zukünftigen Welt hat. Denn der Mensch hat es noch nicht korrigiert, weil es dafür keine andere Korrektur als die Reue aus Liebe gibt.
128. Darüber sagt die Schrift: “Der Fromme ist hingerafft“. Das heißt es verschwand für den Menschen das Stadium eines vollkommenen Gerechten, welches er verdienen muss. „Und keiner ist da, der es zu Herzen nimmt, dass der Gerechte wegen des Bösen hingerafft ist“. Denn jener Mittlere litt nicht die Qual der Gesellschaft und kann daher nicht der Reue aus Liebe gewürdigt werden, welche böswillig begangene Verstöße in Verdienste, und das Böse in herrliche Genüsse verwandelt. Im Gegenteil bleiben unterdessen alle Unachtsamkeitsverstöße und alles Unglück, das der Mensch erlitt, bevor er der Reue aus Furcht gewürdigt wurde in Kraft, in Bezug auf das Maß der Sünder, die durch die Lenkung des Schöpfers Böses empfinden. Und wegen dieses Bösen, welches sie bisweilen verspüren, kann er nicht zu einem vollkommenen Gerechten werden.
Deswegen heißt es: „Keiner ist da, der es zu Herzen nimmt“. Mit anderen Worten nimmt es dieser Mensch nicht zu Herzen, „dass der Gerechte wegen des Bösen hingerafft ist“. Gemeint ist: wegen des „Bösen“, welches er immer noch aus der Zeit verspürt, die er in der Lenkung des Schöpfers verbrachte. Mit anderen Worten verschwand für den Menschen das Stadium des Gerechten. Und er wird sterben, und wird von der Welt nur im Stadium des Mittleren scheiden. All das, weil ein Mensch, der nicht mit der Gesellschaft leidet, nicht würdig wird, den Trost der Gesellschaft zu erleben – weil er sie nicht dem Freispruch zuneigen und ihren Trost sehen kann. Daher wird ihm niemals das Stadium des Gerechten zuteil.
129. Aus allem oben Gesagten erfuhren wir, dass es niemanden gibt, der von einer Frau auf die Welt gebracht werden würde und welcher nicht die drei oben genannten Maße passieren müsste:
– Das Maß der Sünder;
– Das Maß der Mittleren;
– Und das Maß der Gerechten.
Sie werden als Maße bezeichnet, weil sie aus den Maßen der Erkenntnis des Schöpfers durch uns resultieren. Das entspricht dem, was die Weisen sagten: „Der Mensch wir mit dem Maß gemessen, mit dem er selbst misst“ (Sota 8). Denn diejenigen, die das Maß der Lenkung des Schöpfers im Stadium der Verhüllung des Angesichts erkennen, gelten als „sich im Maß der Sünder befindend“; entweder der unvollendeter Sünder nach der einfachen Verhüllung, oder der vollendeter Sünder nach der doppelten Verhüllung.
Nach ihrem Verstand und ihrer Empfindung untersteht die Welt einer unguten Lenkung, das heißt sie „verurteilen“ sich selbst dadurch, dass sie durch die Lenkung des Schöpfers Leiden und Qualen bekommen, und den ganzen Tag nur Böses erfahren. Dann „verurteilen“ sie noch mehr, und denken, dass die gesamte Menschheit durch ungute Lenkung regiert wird.
Deswegen werden sie als die „Sünder“ bezeichnet. Aus den Tiefen ihrer Empfindung enthüllt sich in ihnen dieser Name und hängt vom Verständnis des Herzens ab. Ihre Worte und Gedanken, die die Lenkung des Schöpfers rechfertigen, sind unwichtig, wenn ihr Körper das Gegenteil empfindet.
Solche, die sich in diesem Maß der Erkenntnis der Lenkung befinden, neigen sich selbst und die Welt dem Schuldspruch zu, wie es oben in den Worten von Rabbi Elazar, dem Sohn von Rabbi Shimon hieß. Weil sie es sich vorstellen, dass alle Bewohner der Welt, genau wie sie selbst, nicht von der guten Lenkung regiert werden, welcher der Name des Schöpfers gebührt – Gütig und Guten und Schlechten Gutes bescherend.
130. Diejenigen, die damit beehrt werden, die Lenkung des Schöpfers auf der ersten Stufe der Offenbarung des Angesichts zu erkennen und zu verspüren, die als Reue aus Furcht bezeichnet wird, gelten als das Maß der Mittleren, weil sich ihre Gefühle in zwei Teile aufspalten. Diese werden als die „zwei Waagschalen“ bezeichnet. Denn nun, nachdem ihnen die „Offenbarung des Angesichts“ im Stadium „Deine Welt wirst du bei deinem Leben sehen“ gegönnt wurde, haben sie zumindest von diesem Moment an bereits die gute Lenkung des Schöpfers erkannt, die Seinem guten Namen gebührt. Daher haben sie eine „Waagschale des Freispruchs“.
Die Sorgen und bitteren Leiden jedoch, die sich in ihren Gefühlen in jenen Tagen und Jahren der Vergangenheit eingeprägt haben, als sie von der Verhüllung des Angesichts gelenkt wurden, weil sie noch nicht der oben erwähnten Rückkehr würdig waren – bleiben in Kraft und werden als die „Waagschale der Schuld“ bezeichnet. Also haben sie nun diese zwei Waagschalen, die einander gegenüberstehen. Vom Moment ihrer Reue an und nach hinten erstreckt sich die Waagschale der Schuld, und vom Moment ihrer Reue und nach vor erstreckt und eröffnet sich ihnen die Waagschale des Freispruchs. Also liegt für sie die Zeit der Rückkehr „in der Mitte“ zwischen dem Schuldspruch und dem Freispruch. Daher werden sie als die „Mittleren“ bezeichnet.