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Die Kabbalisten sagen uns, dass die Schöpfung vom Schöpfer mit einem Ziel geschaffen wurde, die Geschöpfe mit dem unendlichen Genuss zu füllen. Was ist das denn für ein Genuss und warum können wir ihn bis jetzt irgendwie nicht spüren??
Ein sehr einleuchtendes Beispiel zum Genuss gibt in seinem Buch „Einführung in die Weisheit der Kabbala“ Baal Sulam, ein bedeutendster Kabbalist des 20. Jahrhunderts. Es handelt sich um ein Beipiel mit einem Gastgeber und seinem Gast. Ein hochgeschätzter Gast kommt zu Besuch. Der Gastgeber hat für ihn einen fantastischen Tisch mit allen möglichen Speisen und Getränken gedeckt. Da der Gastgeber seinen Gast so sehr vom ganzen Herzen liebt, möchte er ihn ohne jegliche Hintergrundgedanken alle diese Speisen und Getränke geniessen lassen.
Der Gast fühlt diese herzliche Zuneigung des Gastgebers und merkt auch, dass es dem Gastgeber darum geht, seinen Gast von seinem Reichtum teilhaben zu lassen. Aber dann plötzlich verspürt der Gast so ein starkes Schamgefühl, dass er dieses Geschenk vom Gastgeber nicht annehmen kann. Der Gastgeber hat alles mögliche getan, um diesen reichen Tisch zu decken, er kennt alle Vorlieben und den Geschmak von seinem Gast, hat alles genauso gemacht, wie es der Gast haben wollte. Und der Gast verspürt jetzt einen Scham, das annehmen zu müssen, was er nach seiner Überzeugung nicht verdient hat.
Er verzichtet deswegen auf die Einladung des Gastgebers: „Ich will kein Empfänger von diesem Reichtum sein! Ich möchte am besten so ein Gebender sein, wie Du! Du hast mir Deine Liebe gezeigt, ich fühle sie auch. Wie kann ich Dir denn angemessen antworten?“. Der Gast denkt nun: „Wenn ich aber jetzt nichts annehme, dann vernachlässige ich den Gastgeber… Es wäre so, als ob ich auf seine Liebe zu mir nicht antworte?! Was kann ich denn machen, um das Problem zu lösen?“
Und dann findet er doch eine Lösung: „Ich werde das Geschenk nur dem Gastgeber zuliebe empfangen! Weil der Gastgeber mich so liebt und den Wunsch hat, mir so viel zu geben, muss ich auf Sein Verlangen Rücksicht nehmen und es erfüllen. Ich gehe auf Sein Verlangen damit an, fühle Seine Liebe und Seinen Wunsch, dass ich was bekomme, sehe wie er daran leidet, dass ich sein Geschenk nicht annehmen möchte. Ich werde also nur mit Seinem Verlangen arbeiten und werde nur daran denken, wie ich es erfüllen kann. Um das Verlangen des Gastgebers zu erfüllen, stelle ich fest, dass ich es nur dann tun kann, wenn ich diesen reich gedeckten Tisch annehme würde und die Speisen geniessen würde. Denn nur mit dem Genuß, was ich verspüre, kann ich den Gastgeber selbst mit Genuss erfüllen. Ich muss unbedingt Ihm zuliebe empfangen und alles unendlich geniessen, nur so werde ich spüren, wie ich Ihn erfülle.“
In diesem Fall arbeitet jeder mit den Verlangen des Nächsten. Der Gastgeber denkt daran, wie der Gast von ihm empfangen und geniessen kann. Und der Gast überlegt, wie er empfängt und geniessen wird, um das Verlangen des Gastgebers zu erfüllen und den Gastgeber geniessen zu lassen. Jeder verwendet seine Verlangen, um die Verlangen des Nächsten zu erfüllen und gewinnt dabei doppelt.
Die Kabbalisten sagen uns, dass diese Idee den Schöpfungsgedanken beinhaltet. Die Geschichte mit dem Gastgeber und seinem Gast scheint uns auf den ersten Blick verständlich zu sein. Dennoch, wenn wir die Idee realisieren wollen und an unsere nächsten Schritte im Leben denken, ist die Umsetzung wirklich nicht einfach. Können wir auf die Verlangen unserer Nächsten eingehen und diese erfüllen, um davon den Genuß verspüren zu können? Nur mit einer einfachen Formel, die laut Kabbalisten „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ lautet, ist es machbar. Denn, im Idealfall, wenn wir ihn verstanden haben, wäre dies eine einzige Möglichkeit uns mit dem unendlichen Genuß zu füllen.
Denn somit verwende ich für meine Erfüllung die Verlangen meiner Nächsten, die körperlich außer mir sind, und somit unendlich zu sein scheinen. Der Schöpfer – ist ein unendliches Verlanges zu geben, und ich bin nur ein kleiner Punkt, was derzeit bereit ist, nur zu empfangen. Wenn ich jedoch beginne, mich mit den Verlangen der Nächsten zu verbinden, bekomme ich dieses unendliche Verlangen zu spüren, was ich erfüllen kann. Ich spüre sowohl diese Verlangen als auch das, wie das Verlangen mit Genuss erfüllt wird. Demzufolge, wenn ich mit Liebe auf die Verlangen der Anderen eingehe, erhalte ich die unendlichen Verlangen, unendliches Leben und Vollkommenheit. Alles passiert nur dann, wenn ich mich zum Schöpfer annähere, wie zu dem Ziel, was ich erreichen soll.
Aus diesem Grund ist die Kabbalah wirklich die Wissenschaft des Empfangens (hebr. lekabel) – wie man empfängt und wie man ohne jegliche Einschränkung geniessen kann.